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Foto: Offenblende / Robert Bergemann

Islamismus

Eine Gesellschaft, die nach vermeintlich authentisch islamischen Werten und Normen aufgebaut ist, ist das Ziel des Islamismus. Die Regeln, die von Islamist*innen vertreten werden, stehen oft im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundwerten und -prinzipien.

Islamismus bezeichnet Ideologien und Bewegungen, die eine Gesellschaft nach vermeintlich authentischen islamischen Werten und Normen anstreben. Die Regeln, die von Islamist*innen vertreten werden, stehen oft im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundwerten und -prinzipien.

Islam, Fundamentalismus, politischer Islam?

Islamist*innen beziehen sich auf den Koran und die Erzählungen aus dem Leben von Prophet Mohammed, der sogenannten „Sunna“. Aus denen leiten sie eindeutige und verbindliche Regeln für alle Zeiten und für jeden Ort ab. Mit diesem absoluten Islamverständnis unterscheiden sich Islamist*innen von der Mehrheit der Muslim*innen. Denn für die meisten Muslim*innen sind unterschiedliche Interpretationen und Umgangsweisen mit religiösen Traditionen durchaus möglich. Schließlich wird der Islam von Muslim*innen sehr unterschiedlich gelebt. Islamist*innen aber bestehen darauf, den „einzig wahren Islam“ zu kennen. Alle anderen Muslim*innen befinden sich aus ihrer Sicht auf einem Irrweg. Der Islamismus ist also eine Lesart des Islams, aber nicht mit dem Islam gleichzusetzen.

Eindeutige Fundamente?

In wissenschaftlichen Diskussionen werden islamistische Strömungen oft als Fundamentalismus bezeichnet. Dieser Begriff betont den Anspruch von Islamist*innen, zu den Fundamenten der Religion zurückzukehren und diese so, wie sie angeblich ursprünglich gemeint waren, zu deuten und umzusetzen. Islamist*innen ignorieren dabei jedoch, dass auch unter Theolog*innen keineswegs Einigkeit darüber besteht, wie bestimmte Aussagen zu interpretieren sind oder was sie für uns heute bedeuten. Die Stärke des Begriffs Fundamentalismus besteht darin, dass er die Gemeinsamkeiten dieses Phänomens in unterschiedlichen Religionen herausstellt: In allen Religionen gibt es Gläubige, die für sich in Anspruch nehmen, die einzige wahre Religion zu vertreten. Dies ist also keine Besonderheit des Islams.

Politischer Anspruch

Der Islamismus beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Verständnis der religiösen Quellen. Charakteristisch ist auch der Anspruch, die Gesellschaft aktiv und grundlegend zu verändern. Daher ist häufig auch vom politischen Islam die Rede. Damit wird der politische Anspruch dieser Strömung betont: also das Ziel, die Gesellschaft mit all ihren Bereichen (Politik, Staat, Recht, Wirtschaft, Kultur) nach religiösen Vorstellungen zu ordnen. Religion ist in dieser Vorstellung keine Privatsache, sondern bildet die Grundlage der Gesellschaft. Allerdings hat auch dieser Begriff seine Schwächen. Schließlich verbinden sich mit religiösen Werten häufig konkrete politische Vorstellungen und Ziele. Beispielsweise haben religiöse Werte wie Nächstenliebe oder Barmherzigkeit fast zwangsläufig auch eine politische Bedeutung. So bezieht sich die Christlich Demokratische Union (CDU) ausdrücklich auf christliche Werte. Auch die Kirchen in Deutschland sind gesellschaftlich aktiv und gestalten die Gesellschaft mit.

Der Begriff des Islamismus beschreibt daher nicht allgemein einen politischen Aktivismus, der sich auf den Islam beruft, sondern beinhaltet konkrete politische Ziele. Nach der Definition des Verfassungsschutzes zielt der Islamismus dabei auf „die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“. Dies betrifft unter anderem Grundrechte und -freiheiten, ebenso wie Prinzipien der Rechtstaatlichkeit, der Gewaltentrennung, der Demokratie sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter. Denn eine Gesellschaft, in der die Herrschaft nicht vom Volk, sondern von Gott ausgeht, und in der unveränderliche Regeln gelten, die im 7. Jahrhundert offenbart wurden, ist mit Pluralismus und Demokratie nicht vereinbar.

Islamismus in Deutschland

Gewaltbereite islamistische Organisationen wie al-Qaida oder der sogenannte Islamische Staat erhalten in den Medien große Aufmerksamkeit, stehen aber nur für einen kleineren Teil des islamistischen Spektrums. Denn Islamismus ist nicht gleichbedeutend mit Gewalt. Trotz mancher Gemeinsamkeiten unterscheiden sich islamistische Organisationen zum Teil erheblich.

In Deutschland zählte der Verfassungsschutz 2018 etwa 26.000 Islamist*innen. Hierzu gehören neben Anhänger*innen der verschiedenen Strömungen des Salafismus auch Anhänger*innen der libanesischen Organisation Hisbollah oder der palästinensischen Hamas. Auch Vereine aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft sowie Teile der aus der Türkei stammenden Millî-Görüş-Bewegung gelten als islamistisch. Gemeinsam ist ihnen das Ziel, eine islamische Ordnung zu errichten, wie sie nach ihrem Islamverständnis richtig wäre.

Dschihadistische und legalistische Organisationen

Diese Organisationen unterscheiden sich auch in den Methoden, die sie zum Erreichen ihrer Ziele anwenden und die sie für legitim erachten. Der Verfassungsschutz unterscheidet daher zwischen dschihadistischen Organisationen, die ihre Ziele grundsätzlich auch mit Gewalt („Dschihad“ verstanden als gewaltsamer Kampf) verfolgen, und gewaltorientierten Organisationen wie der Hisbollah, Hizb ut-Tahrir oder der Hamas. Gewaltorientierte Organisationen greifen in Deutschland nicht zu gewaltsamen Mitteln, kämpfen aber in ihren Herkunftsländern auch mit Gewalt gegen Israel und andere Gegner. Als legalistisch bezeichnet der Verfassungsschutz dagegen Organisationen, die ihre Ziele auf legalem Wege, also durch politische und gesellschaftliche Aktivitäten, beispielsweise in der Bildungs- und Sozialarbeit, durchzusetzen versuchen. Hierzu werden neben der Muslimbruderschaft auch Teile der Millî-Görüş-Bewegung gezählt. Legalistische Organisationen gelten als verfassungsfeindlich, sind aber im Unterschied zu dschihadistischen Organisationen nicht verboten. Wie andere verfassungsfeindliche Organisationen, beispielsweise die rechtsextreme NPD, können sie sich frei betätigen. Allerdings kann die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation zum Beispiel dazu führen, dass einem Mitglied der Beamt*innenstatus als Lehrer*in oder Polizist*in verweigert wird.

Was macht den Islamismus attraktiv?

Für die Verbreitung von islamistischen Einstellungen und Orientierungen spielen neben Vereinen und Moscheegemeinden zunehmend auch das Internet und Soziale Medien eine wichtige Rolle. Die Reichweite solcher Medien geht häufig deutlich über die eigentliche Anhänger*innenschaft islamistischer Organisationen hinaus. Online-Angebote wie der YouTube-Kanal „Macht’s Klick“, die sich nur schwer einer bestimmten Organisation zuordnen lassen, erreichen teilweise mehrere Hunderttausend Nutzer*innen. Nicht immer ist der ideologische Hintergrund auf den ersten Blick ersichtlich. Oft stehen Fragen im Mittelpunkt der Videos, die viele Jugendliche im Alltag betreffen: Wie soll ich mich kleiden? Was ist richtig und was ist falsch? Ist ein bestimmtes Hobby mit dem Islam vereinbar? Trotzdem stehen die Inhalte der Kanäle für eine islamistische Ideologie, die den und die Einzelne*n dazu verpflichten will, sich nach bestimmten Regeln zu verhalten. Eigene Entscheidungen, wie jemand sein Leben leben will, verstoßen angeblich gegen den göttlichen Willen.

Götz Nordbruch ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitbegründer und Co-Geschäftsführer des Vereins ufuq.de.

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