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Foto: Johanna Landscheidt

Mobbing

„Hier stinkt es nach Knoblauch“, sagt Jan beim Betreten des Klassenzimmers und schaut dabei grinsend zu Ahmet. Die Klasse kichert. Ahmet wird rot. Er schaut intensiv auf sein Smartphone und tut, als hätte er nichts gehört. Ahmet kennt das. Er weiß, dass es hier nicht um eine unbedachte Äußerung im Streit geht. Seit Monaten erlebt er Situationen wie diese. Und ihm ist klar: Das war noch nicht alles; auch für heute nicht. Nach dem Unterricht werden andere Schüler*innen weitermachen. Ahmet wird von seinen Klassenkamerad*innen gemobbt.

Helfer*innen und Möglichmacher*innen

Zwar beteiligen sich nicht alle Mitschüler*innen an den Aggressionen gegen Ahmet. Aber es gibt eine ganze Reihe, die meinen: „Ist doch alles nicht so schlimm. Was stellt der sich so an? Ein bisschen Spaß muss er schon verstehen.“ Folglich sehen sie auch keinen Grund, sich mit diesen Vorfällen oder mit Ahmet zu beschäftigen. Anderen ist unwohl bei dem, was sich vor ihren Augen abspielt. Sie haben ein flaues Gefühl im Magen, wenn sie die miesen Sprüche hören. Manchmal würden sie sogar gern einschreiten.

Sie tun es aber nicht, weil sie selbst keine Probleme bekommen wollen. Nun haben sie ein schlechtes Gewissen. Deswegen trauen sie sich nicht, Ahmet zu sagen, dass sie das alles nicht richtig finden. Lieber wenden sie sich von ihm ab und sprechen mit ihren Freund*innen über etwas anderes. Und dann gibt es noch Schüler*innen, die nichts von all dem mitbekommen, weil sie mit ihren Gedanken meist ganz woanders sind. Sie interessiert nicht, was um sie herum in der Schule geschieht. Sie schauen zu, wenn die Täter*innen angreifen und werden so zu ihren Helfer*innen.

Erniedrigend und demütigend

Der geschilderte Fall ist typisch: So unterschiedlich Schüler*innen ihre Reaktionen begründen – sie alle stimmen Mobbing auf ihre Weise schweigend zu. Und auch wenn ihnen selbst gar nicht bewusst ist, dass sie keine Unbeteiligten sind: Als stille Zuschauer*innen spielen sie bei der vorsätzlichen und dauerhaften Erniedrigung von Menschen eine entscheidende Rolle. Erst sie schaffen als „Möglich-Macher*innen“ und Helfer*innen ein Umfeld, das Mobbing ermöglicht. Denn dieses lebt davon, dass Menschen vorsätzlich und langfristig erniedrigt und gedemütigt werden – mit Billigung ihres sozialen Umfelds.

Ein typisches Merkmal von Mobbing ist auch: Es endet nicht am Schultor. Insbesondere auf dem Weg zur oder von der Schule folgen häufig körperliche Angriffe oder Überfälle.

Ein langfristig wirkendes Gift

Mobbing kann grundsätzlich von jeder*jedem ausgeübt werden und sich gegen jede*n richten. Was es braucht, ist ein Machtgefälle zwischen Täter*in und Opfer. Dieses kann sich aus einer formellen Hierarchie wie jener zwischen Pädagog*innen und Schüler*innen, Schulleitung und dem Kollegium, oder älteren und jüngeren Schülerinnen ableiten. Das Machtgefälle kann aber auch dadurch entstehen, dass eine Gruppe sich gegen eine*n Einzelne*n verbündet. In jedem Fall entsteht eine asymmetrische Beziehung zwischen Täter*in und Opfer, die dazu führt, dass dieses sich nicht aus eigener Kraft befreien kann. Mobbing funktioniert wie ein langfristig wirkendes Gift. Und: Es kann alle Formen der Diskriminierung umfassen.

Die Suche nach den Motiven der Täter*innen führt in der Regel zu einem Bündel von Ursachen. Eine liegt häufig in der zentralen Sozialisationsinstanz: der Familie. Je mehr Gewalt Kinder dort erfahren, umso weniger lernen sie gewaltfreie Strategien zur Konfliktlösung; und desto eher sind sie bereit, anderen Menschen Gewalt zuzufügen und die Rolle der Täter*innen einzunehmen.

Die Anzahl der Mobbingfälle an Schulen in Deutschland zu erfassen, ist schwierig. Die Dunkelziffer ist hoch; viele Mobbingopfer machen ihr Leid nie publik. Auch Pädagog*innen scheuen sich immer wieder, über Fälle von Mobbing unter ihren Schüler*innen zu sprechen; sie fürchten, ihnen könnte vorgeworfen werden, ihre Klasse nicht in den Griff zu bekommen.

Mobbing macht krank

Mobbing erzeugt Stress, macht körperlich und psychisch krank. Außerdem macht es depressiv und kann bis zu Selbstmordgedanken führen. Die Reaktion der Umgebung ist dabei häufig nicht sehr hilfreich: „Dann zieh dich eben nicht so an“, „Iss nicht so viel“ oder, wohl als Trost gemeint: „Nimm dir das nicht so zu Herzen“ – all das sind Ratschläge, die letztlich das Opfer verantwortlich machen für das, was ihm widerfährt.

Wahr ist, dass manche individuellen Eigenschaften die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, erhöhen: körperliche Unterlegenheit, geistige Schwäche oder Armut zum Beispiel. Dahinter steckt nicht zuletzt ein gesellschaftliches Klima der Konkurrenz, das den Gedanken möglich macht, das Opfer hätte sich mehr anstrengen und eine effektivere Selbstoptimierung betreiben müssen. Allerdings ist das Wesensmerkmal des Mobbing gerade, dass es sich um ein soziales Phänomen handelt. Und die Verantwortung dafür, ein angst- und hassfreies Schulklima zu schaffen, liegt ganz sicher nicht bei den Mobbing-Opfern. Sondern: bei der ganzen Schulgemeinschaft.

Wie die Opfer von Mobbing mit den erlittenen Demütigungen und Verletzungen umgehen, ist sehr unterschiedlich. Viele bleiben äußerlich passiv, schlucken ihre Trauer und Wut herunter. Wer so reagiert, dem wird häufig vorgehalten, er*sie nähme alles hin und wehre sich nicht. Andere, sogenannte provozierende Opfer, reagieren offensiv und aggressiv – was ihnen dann allerdings auch vorgeworfen wird.

Mobbing im Lehrer*innenzimmer

Auch Pädagog*innen werden Opfer von Mobbing; von Schüler*innen wie von Pädagog*innen. Sie sprechen aber selten darüber, weil sie an ihrem Arbeitsplatz erfolgreich sein wollen. Würden sie bekanntmachen, dass sie gemobbt werden, so denken sie, wäre damit zugleich ihre Professionalität in Frage gestellt. Dabei gibt es Mobbing im Lehrer*innenzimmer wie an jedem anderen Arbeitsplatz auch. Häufig werden dabei Indiskretionen aus dem Privatleben des Mobbing-Opfers gestreut und abfällige Witze gemacht. Die Bemerkungen bewegen sich in einer Grauzone, die viel Raum für Spekulationen lässt, etwa: „So, Frau Özkan hat sich also schon wieder krank gemeldet…“. Die Auswirkungen von Mobbing im Lehrer*innenzimmer gehen weit über das Kollegium hinaus. Sie belasten das Schulklima.

Cybermobbing

Mobbing im Internet, in sozialen Netzwerken, per Nachricht oder per E-Mail oder via SMS nennen wir Cybermobbing. Es zielt auf dieselben Effekte wie analoges Mobbing. Durch seine räumlich und zeitlich unbegrenzten Zugriffsmöglichkeiten verfügt es allerdings über ein deutlich erweitertes und gefährliches Repertoire. Via Facebook oder Instagram können Bilder in in Sekundenschnelle geteilgt werden und liefern so das Opfer nicht nur öffentlichem Hohn und Spott aus. Sie geben auch jeder*jedem die Chance, die Angriffe zu vervielfältigen und weiter zu verbreiten.

Andere gängige Methoden sind Fake-Profile von Mitschüler*innen oder Pädagog*innen, die dazu benutzt werden, die Opfer in erfundenen Zusammenhängen darzustellen und ihren Ruf zu beschädigen. In all diesen Fällen gilt: Die Täter*innen erpressen, bedrohen und quälen ihre Opfer mit hoher krimineller Energie. Zu Recht wird das Phänomen Cybermobbing an den Schulen als sehr ernstes Problem wahrgenommen, dem aktiv entgegengewirkt werden muss.

Als generelle Tipps an die Opfer können gelten: Auf beleidigende und die Persönlichkeitsrechte verletzende E-Mails, SMS und Nachrichten sollte nicht geantwortet werden; jede Reaktion motiviert die Täter*innen nur, weiterzumachen. Bei andauernder Belästigung ist sinnvoll, sich einen neuen Account anzulegen. Wer beim Chatten mitbekommt, dass andere gemobbt werden, sollte nicht schweigend darüber hinwegsehen, sondern sich auf die Seite des Opfers stellen und es damit stärken.

Und: Auch wenn die vermeintlich anonyme und ungeregelte virtuelle Welt Täter*innen ermutigt, aggressiv gegen ihre Opfer vorzugehen: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Beleidigungen, die über das Netz verbreitet werden, sind strafbar. Ein Screenshot kann ein erster Beleg sein, mit dessen Hilfe die Täter*innen überführt werden.

Selbstwertgefühl stärken

Erfolgreiche Gegenmaßnahmen zielen grundsätzlich darauf ab, das Selbstwertgefühl aller Schulmitglieder zu stärken. Wenn das gelingt, steigt mit ihm auch die Bereitschaft und auch die Kompetenz, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Dahinter steckt auch: Wer andere Menschen durch Mobbing erniedrigt, hat ein ausgeprägtes Bedürfnis, sich selbst zu erhöhen und stark zu fühlen.

Anti-Mobbing-Seminare sensibilisieren Schüler*innen und Pädagog*innen für die diversen Erscheinungsformen von Mobbing. Wer diese kennt, kann auch frühe Anzeichen in seiner Klasse erkennen und gegensteuern. Die ruhige Lara wird immer unkonzentrierter, zieht sich zurück, ist in sich gekehrt? Oder, im Gegenteil, streitlustig und aggressiv; ihre Leistungen sinken? All das kann viele Ursachen haben. An Mobbing als eine mögliche sollte gedacht werden.

Wichtige Fragen bei der Bekämpfung von Mobbing sind zudem:

  • Bekommen Mobbing-Opfer schulintern Unterstützung, zum Beispiel von Vertrauenslehrer*innen?
  • Werden sie in Mobbing-Fällen an außerschulische Beschwerde- oder Beratungsstellen vermittelt?
  • Gibt es schulinterne Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte? Ein Workshop reicht dabei nicht aus. Notwendig ist eine langfristige Qualifikationsstrategie. Einige Methoden für den professionellen Umgang mit Mobbing sind zum Beispiel die FARSTA-Methode und der No-Blame-Approach.
  • Gibt es Möglichkeiten zur Ausbildung zu Schulmediator*innen?
  • Werden in jedem Schuljahr neue Schüler*innen und Pädagog*innen zu Konfliktlots*innen ausgebildet?

Ein soziales, angstfreies Schulklima sowie eine intensive Kommunikation im Schulalltag können bereits mit einfachen Instrumenten wie dem Klassenrat oder einer aktiven Schüler*innenselbstverwaltung gefördert werden. Je mehr Möglichkeiten es an einer Schule gibt, das respektvolle und solidarische Miteinander zu stärken und sich mit Ursachen und Auswirkungen von Mobbing und Cybermobbing auseinanderzusetzen, desto effektiver wird dieses verhindert.