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Frei.Wild – Das Buch. Eine Klarstellung

16. Juli 2015

Die Bundeskoordination erreicht anlässlich einer Infomail scharfe Kritik an ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Dazu stellen wir hier, ergänzend zu individuellen Antwortschreiben und unserer ausführlichen Stellungnahme vom 26. Juni 2015 an die Koordinationsstellen und Kooperationspartner des Courage-Netzwerks, unsere Position erneut kurz dar.

Am 7. Mai 2015 mailte die Bundeskoordination an den Verteiler des Courage-Netzwerks eine weitere Ausgabe ihrer regelmäßigen „Infopost“. Darin wiesen wir auf zwei Publikationen der Bundeskoordination hin: das Handbuch „Lernziel Gleichwertigkeit“ und das Handbuch „Islam & Schule“. Wie in unseren Veröffentlichungen üblich, nahmen wir daneben auch Informationen und Angebote aus dem Kreise unserer rund 300 Kooperationspartner auf. Diesmal wurde eine aktuelle Publikation unseres langjährigen Kooperationspartners „Archiv der Jugendkulturen Verlag KG“ für eine begrenzte Zeit von drei Wochen ermäßigt angeboten. Das 400 Seiten umfassende Buch trägt den provokanten Titel: „Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten“. Der Autor ist Klaus Farin.

Der Vorwurf an die Bundeskoordination lautet, mit dieser Mail dazu beigetragen zu haben, die von den Kritiker*innen als verharmlosend wahrgenommene, bedenkliche Einschätzung der politischen Verortung der Band Frei.Wild durch Klaus Farin unreflektiert zu verbreiten. Manche Kritik geht weiter. Sie unterstellt, die Bundeskoordination teile die Einschätzungen und Positionen des Autors, die Aussagen der Texte von Frei.Wild oder gar die politischen Einstellungen einzelner Bandmitglieder. Das ist falsch.

Völkischem Denken entgegentreten

Fragen wie „Was ist heute Deutsch?“ und „Wie halten wir es mit Heimat, Patriotismus und den Stolz auf die Nation und Herkunftsregion?“ sind für Jugendliche ganz offensichtlich drängende Identitätsfragen. Ob es uns gefällt oder nicht, viele Jugendliche, auch an den Courage-Schulen, sind Fans von Frei.Wild. Mit vielerlei Begründungen lehnen sie es ab, dass die Musik und Texte der von ihnen verehrten Band als neonazistisch und rechtsradikal definiert werden. Pädagoginnen und Pädagogen, die dem mit guten Argumenten effektiv entgegen treten wollen, benötigen Informationen und fachliche Unterstützung.

Wir wiesen auf das Buch in der Annahme hin, dass es Hintergrundinformationen liefert, die dazu beitragen können, eine aus unserer Sicht notwendige pädagogische und politische Auseinandersetzung mit den Wertvorstelllungen der Fans dieser rechtspopulistischen Band zu befördern. Dies mag eine Fehleinschätzung gewesen sein. Fachliche Kritik, auch an unserer Einschätzung, ist hilfreich und wir nehmen sie gerne an. Es ging und geht uns darum, als Courage-Netzwerk Konzepte und Strategien zu entwickeln und zu stärken, um gemeinsam rechtspopulistischen und völkischen Deutungsversuchen, die ein hierarchisierendes und damit immer auch Menschen abwertendes „Ihr und Wir“ propagieren, wirksam entgegenzutreten.

Identitätsvorstellungen diskutieren

Dazu initiiert die Bundeskoordination seit Jahren zahlreiche Veranstaltungen mit Schülerinnen und Schülern, die der Frage nachgehen: „Wie wollen wir in Zukunft im Land der Vielfalt zusammenleben?“ Gerade in diesem Zusammenhang ist es unverzichtbar, die Auseinandersetzung mit konservativen, rechtskonservativen und völkischen Identitätsdiskursen zu führen.

Auch das von den jugendlichen Redakteurinnen und Redakteuren bestimmte Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe unserer Zeitung Q-rage lautet: „Wer ist das Volk?“. Ganz im Gegensatz zu den populistische Bewegungen, welche die Bevölkerung in ein „Ihr und Wir“ aufteilen wollen, geben sie auf diese Frage ihre solidarischen Antworten. Hier geht es zur aktuellen Q-rage. „Das neue deutsche Wir – Lernziel Gleichwertigkeit“ war sogar das Motto unserer diesjährigen Bundesfachtagung im Mai, an der 200 Multiplikator*innen des Courage-Netzwerkes in Berlin teilnahmen. Auch das umstrittene Buch wurde dort in zwei Workshops vom Autor präsentiert und zur Diskussion gestellt.

„Ihr“- und „Wir“-Konstruktionen

Wir hielten die Band Frei.Wild bereits vor der Lektüre von Farins Buch für problematisch. Nach der Lektüre der Interviews mit den Bandmitgliedern und den Fans wissen wir noch besser warum – und können das nun an Hand zahlreicher Textbeispiele belegen. Wir halten die von Frei.Wild propagierte Weltsicht für problematisch, auch wenn sie nicht im klassischen Sinne rechtsextrem sein mag. Wir können weder etwas mit ihrem engen Heimatbegriff anfangen noch mit dem Regionalismus und Patriotismus und den „Ihr“- und „Wir“-Konstruktionen, schlicht den ganzen Antworten auf drängende Identitätsfragen, wie sie Frei.Wild in ihren Liedern thematisieren. Außerdem stößt uns auch der von der Band und vielen ihrer Fans propagierte Körperkult und das Männer- und Frauenbild ab. Die von Frei.Wild vertretene konservative, mitunter auch völkische Weltsicht widerspricht vielem, wofür das Courage-Netzwerk steht und was uns professionell und persönlich bedeutsam und wichtig ist.

Wir haben auch eine Reihe von konzeptionellen und inhaltlichen Kritikpunkten an dem Buch von Klaus Farin und diese bereits öffentlich vorgetragen. So kritisieren wir nicht nur den reißerischen Titel, sondern unter anderem auch das Fotokonzept, das auf Fotomaterial des Bandfotografen zurückgreift und damit eine kritische Distanz auch in der Visualisierung vermissen lässt. Wir machen uns Klaus Farins Bewertung der Band nicht zu eigen. Wer intensiver über die Stärken und Schwächen des Buches diskutieren möchte, sollte dies direkt mit dem Autor Klaus Farin tun.

Gemeinsam Ideologien der Ungleichwertigkeit bekämpfen

Die Bundeskoordination wird auch in Zukunft in Rundbriefen, Handbüchern und Infomails Publikationen der Kooperationspartner vorstellen, die hilfreich für die politische und pädagogische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen sein können. Auch dann, wenn wir nicht jedes Wort in jeder Broschüre, jedem Workshopkonzept und in jedem Buch unterschreiben würden. Es gilt weiterhin, die Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit intensiv zu führen, und sie in ihren vielfältigen, auch künstlerischen Erscheinungsformen klar zu erkennen, um sie gemeinsam effektiv zu bekämpfen.

Berlin, 16. Juli

Sanem Kleff, Leiterin                                       Eberhard Seidel, Geschäftsführer